Presse

„Lieber sterben als zurückkehren“

von heidi rinke-jarosch

Vorarlberger setzen sich für libanesische Flüchtlingsfamilie ein: Die Jadouhs sollen bleiben.

SCHRUNS. „Das ist meine.“ Stolz zeigt Sami (8) auf eine an der Wand hängende Medaille. Die zweite daneben gehört seinem Bruder Nasser (6). Die beim Fußballspiel gewonnenen Auszeichnungen und darüber das Plakat mit dem Foto des vierjährigen Yehya sind die einzigen Dekorationen an den Wohnzimmerwänden.

In unserer Gemeinde gibt es tolle Leute, die sich für Flüchtlinge engagieren.
(Karl Hueber, Bürgermeister Schruns)

Yehya liegt auf einer Decke vor dem Fernseher. Irgendein Zeichentrickfilm läuft. Der Jüngste der vier Kinder, der acht Monate alte Fahdi, geht noch unsicheren Schrittes auf seine Mutter Dalal zu, die mit duftendem Kaffee den Raum betritt. „Im Libanon hatten wir große Angst um unsere Kinder,“ erzählt Dalal (32), „und jetzt haben wir wieder Angst um sie, weil wir zurückkehren sollen.“ Auch ihr Ehemann Nazem spricht von dieser Angst, die einem beinahe den Verstand raube. „Im Libanon herrscht Krieg“, sagt der 38-jährige Familienvater. „Wir sind geflüchtet, weil ich es nicht verantworten kann, dass meine Kinder im Krieg aufwachsen.“

Im Libanon herrscht Krieg

Eigentlich kennen die Libanesen keinen Frieden. Jetzt ist der Syrienkonflikt auf den Libanon übergeschwappt und hat das Land wieder in den Kriegszustand versetzt. Vor wenigen Tagen erst sind in der Küstenstadt Sidon 15 Soldaten bei Gefechten ums Leben gekommen, mehr als 100 Menschen – davon die Hälfte Zivilisten – wurden verletzt. Hunderte Bewohner konnten ihre Häuser nicht verlassen. Die Kämpfe sind inzwischen intensiver geworden. Die Familie Jadouh stammt aus einer Ortschaft außerhalb von Sidon.

Wegen der immer wiederkehrenden Unruhen haben Nazem und Dalal Jadouh im Jänner letzten Jahres die Flucht beschlossen. Mit ihren damals noch drei Kindern – Fahdi kam in Vorarlberg zur Welt – flogen sie von Beirut nach Jordanien, erhielten dort ein Visum für Bosnien-Herzegowina und nahmen den Flieger nach Sarajevo. Dort kam die Familie nie an. Denn beim Zwischenstopp in Wien stieg sie nicht mehr ein. Nach einer Woche Aufenthalt auf dem Flughafen ging es nach Traiskirchen, von dort nach Vorarlberg ins Schrunser Flüchtlingsheim Maria Rast. Die Caritas übernahm die Betreuung. Dann wurde der Asylantrag gestellt. Die Antwort des Asylgerichtshofs war negativ. Auch die der Beschwerde. Die Familie wurde aufgefordert, innerhalb von zwei Wochen das Land zu verlassen. Die Caritas beriet noch in Sachen freiwilliger Ausreise. Doch darauf gingen Nazem und Dalal nicht ein. Zurück in den Libanon? „Das geht nicht“, sagt Nazem verzweifelt. „Lieber sterbe ich, als meine Kinder zurück in den Libanon zu bringen.“

Tolle Leute in der Gemeinde

Am 20. Juni – dem Tag der Flüchtlinge – fand Nazem einen Flyer von Vindex, dem neu gegründeten Verein für Schutz und Asyl. Sogleich rief er dessen Obfrau Eva Fahlbusch an, teilte ihr seine Sorgen mit. Tags darauf saß er im Zug nach Bregenz – und geriet in eine Polizeikontrolle. Beim Prüfen seiner Identität machten ihn die drei Beamten darauf aufmerksam, dass er illegal im Land sei. „Sie nahmen mich aber nicht fest“, erzählt Nazem. „Aber die Angst war wieder da. Was passiert jetzt? Kommen sie mich nun holen? Oder uns alle?“

Eva Fahlbusch hat „sofort Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt“. Sie kontaktierte die Schrunser Volksschuldirektorin Kornelia Schlatter, die sich besonders für die Familie einsetzt, Bürgermeister Karl Hueber und Bezirkshauptmann Johannes Nöbl. Des Weiteren schickte sie eine Flut von Unterstützungs-E-Mails für die Familie an Landesrat Schwärzler.

Wie der Röthner Bürgermeister

In Vorarlberg gibt es anscheinend noch andere Bürgermeister wie Norbert Mähr von Röthis, der durch seinen persönlichen Einsatz an einem Februarmorgen 2010 die Abschiebung der goranischen Flüchtlingsfamilie Durmisi verhindert hat. Der Schrunser Ortschef Karl Hueber stellt sich vor die Familie Jadouh. Nach Eva Fahlbuschs Anruf reagierte er sofort: „Ich konnte weder Landesrat Schwärzler noch Bezirkshauptmann Nöbl erreichen. Trotzdem habe ich mein Möglichstes getan, damit die Familie nicht auseinandergerissen wird. Es muss alles getan werden, damit alle bleiben können.“ Die Familie sei sehr gut integriert und habe bereits viele Freunde in Schruns. „In unserer Gemeinde gibt es tolle Leute, die sich für Flüchtlinge engagieren“, sagt er, „Schruns ist diesbezüglich österreichweit ein Vorbild.“

Positive Lösung finden

Positives meldet auch der Bezirkshauptmann: „Wir sind dabei, den Fall zu prüfen. Natürlich sind wir als Behörde an die Gesetze gebunden, aber wir setzen uns ein, dass es menschlich zugeht. Menschenrechte gelten für alle.“ Er werde alles mit Landesrat Erich Schwärzler abstimmen.

Schwärzler betont, dass es für die libanesische Familie Jadouh unerlässlich sei, eine positive Lösung zu finden. „Das ist mein großes Anliegen. Ich kann es nicht verantworten, dass eine Familie mit vier kleinen Kindern in ein Kriegsland zurückgeschickt wird, wo sie um ihr Leben bangen muss.“ Er versichert, dass die Jadouhs nicht abgeschoben werden.

Berührt über die Hilfe und Unterstützung, bedanken sich Nazem und Dalal bei allen, die sich für sie einsetzen. „Wissen Sie, wie sich Krieg anfühlt?“, fragt Nazem. „Menschen, die nie Krieg erlebt haben, können sich das nicht vorstellen.“

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